Die in Boston beheimatete Band AVERSED wurde 2009 gegründet. Seit ihrer Entstehung sind die Kernmitglieder konstant geblieben, darunter Gitarrist Sungwoo Jeong und Bassist Martin Epstein (auch Dainsleif und Diezel). Im Jahr 2016 erweiterten sie ihr Line-up um Schlagzeuger Jeff Saltzman (u. a. Allegaeon, Sky Pillar, Unflesh, ex-Solium Fatalis) und Gitarrist Alden Marchand. Diese Formation veröffentlichte ihre erste EP, die bereits das enorme Potenzial der Band andeutete. 2021 festigte sich ihr Stil weiter mit der Aufnahme von Sängerin Sarah Hartman (auch Metanoia).
Komplexe Arrangements, beeindruckende Gitarrensolos und vielseitige Vocals prägen das Album, das sich thematisch mit Trauer, Schuld, Leben und Umwelt auseinandersetzt.
Mit ihrem zweiten Longplayer Erasure of Color demonstrieren AVERSED eine deutliche Weiterentwicklung. Wut und Melodie verschmelzen zu einem kraftvollen Gesamtwerk, das zwischen Aggression und Schönheit balanciert.
Der Opener To Cover Up The Sky legt mit technischer Finesse und kraftvoller Energie einen starken Start hin. Beeindruckende Vocals und Tempowechsel bestimmen das Bild – von komplexen Songstrukturen bis hin zu ruhigen, fast akustischen Passagen. Die Gitarrensolos sind herausragend, die Riffs aggressiv und die Blastbeats kompromisslos. Selbst der Bass ist klar definiert. Verschiedene Gesangsstile setzen zusätzliche Akzente. Ein absolutes Highlight des Albums.
Mit Cross To Bear folgt ein deutlich langsamerer Track, der verstärkt auf Clean Vocals setzt. Zwar steigert sich die Aggression im Verlauf des Songs, doch durch die vielen Wechsel innerhalb der Komposition fehlt es etwas an kohärenter Struktur. Thematisch dreht sich das Stück um Schuld und Trauer.
Lucid Decapitation hingegen bietet hallende Gitarren, einen Hauch von Old-School-Atmosphäre und präsentiert die technisch versierteste sowie brutalste Seite der Band. Das starke Riffing kommt und geht wellenartig und sorgt für eine markante Dynamik. Besonders bemerkenswert ist das Zusammenspiel aller Instrumente, das einen fast dissonanten, aber dennoch fesselnden Sound erzeugt. Der Song hinterfragt die Vergänglichkeit des Lebens und gehört zu den Höhepunkten der Platte.
Mit Inexorable schlagen AVERSED melodischere Töne an. Die komplexe, vielschichtige Komposition wird durch geschmackvolle Gitarrensolos veredelt. Inhaltlich geht es um zwischenmenschliche Beziehungen. Stilistisch nähert sich der Song am ehesten dem Melodic Death Metal an – die Gitarren erinnern stellenweise an die frühen Tage des Gothenburg melodeath.
Solitary beginnt ruhig und melodisch mit akustischen Gitarren und sanftem Gesang. Das Tempo zieht allmählich an, bis der Song in seiner Mitte einen wilden, experimentellen Charakter annimmt. Melancholie trifft auf ungezähmte Wut, starke Riffs treffen auf eindringliche Vocals. Die tiefgründigen Lyrics reflektieren über den Sinn des Daseins und die Welt als Ganzes. Ein düsteres, introspektives Stück, das schließlich in einem eindrucksvollen Höhepunkt mündet.
Der Titeltrack Erasure Of Color vereint technisches Können mit emotionaler Intensität. Die zahlreichen Breaks und Interludes machen ihn zu einer dynamischen Achterbahnfahrt. Die Rhythmussektion zeigt sich einmal mehr von ihrer besten Seite. Kompositorisch dramatisch angelegt, spiegelt der Song mit seiner furiosen Gesangsleistung Wut und Verzweiflung wider – thematisch eine leidenschaftliche Anklage gegen Umweltzerstörung und eine düstere Zukunftsvision.
Yearning beginnt mit einer klassischen Akustikgitarre, gefolgt von sanften Pianoklängen. Eine melancholische Atmosphäre entsteht – doch unerwartet bleibt der Song genau dort stehen, ohne sich weiter zu steigern. Ein kurzes, fast fragmentarisches Stück.
Mit Departures kehrt die Wut zurück. Der Song behandelt widersprüchliche Emotionen, doch der Refrain wirkt fast zu stark vom restlichen Stück losgelöst. Dennoch glänzt er mit epischer Atmosphäre, dynamischen Strukturen und gelungenen Gitarrensolos. Hier wollten AVERSED offenbar noch einmal ihr ganzes technisches Können demonstrieren, um einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen – vielleicht etwas zu ambitioniert.
Technisch bewegt sich die Band klar in Richtung Progressive Death Metal, geprägt von kraftvollen Vocals und anspruchsvollen Arrangements.
Die Produktion wird dem komplexen Songwriting gerecht. Jeder einzelne Part kommt klar zur Geltung, ohne dass sich die Elemente gegenseitig überlagern. Besonders das Bassspiel ist beeindruckend präsent und dominiert stellenweise die Rhythmussektion. Die Drums hätten etwas lauter abgemischt werden können, fügen sich aber gut in das Gesamtbild ein. Insgesamt sorgen die orchestralen Arrangements für zusätzliche Tiefe.
Lyrisch stammen die Texte überwiegend von Drummer Jeff Saltzman, der beim finalen Song gemeinsam mit Sarah Hartman schrieb. Die Themen drehen sich um Trauer, Schuld und Verzweiflung – Menschlichkeit im Kampf mit Verlust, die Konsequenzen der Verweigerung von Licht und Göttern sowie die trostlose Zukunft einer von Industrialisierung gezeichneten Welt.
Eine talentierte Band mit noch unausgereifter Stilrichtung
AVERSED beeindrucken mit technischer Raffinesse und großer stilistischer Bandbreite. Ihr Fokus liegt klar auf progressiven Elementen, wobei das Bassspiel konstant eine tragende Rolle übernimmt. Die Vocals sind über das gesamte Album hinweg äußerst vielseitig: Sarah Hartman wechselt mühelos zwischen Screams, tiefem Growling und klarem Gesang. Während ihre gutturalen Passagen beeindrucken, könnten einige Hörer sich weniger Clean-Vocals und mehr Härte wünschen. Auch in diesen melodischen Parts zeigt sie jedoch eine große Variabilität, die stellenweise an Gothic Extreme Metal erinnert. Der Vergleich mit Jinjer liegt auf der Hand – und das ist definitiv als Kompliment gemeint. Sungwoo Jeongs und Alden Marchands Gitarrensolos sind nicht nur technisch einwandfrei, sondern auch kreativ und melodisch durchdacht.
Allerdings wirkt das Album als Ganzes nicht immer homogen. Es gibt viele starke Passagen, doch fehlt eine durchgehende stilistische Kohärenz. Die einzelnen Teile sind für sich genommen beeindruckend, fügen sich aber nicht immer zu einer organischen Gesamtstruktur zusammen. Die Band hat seit ihrem letzten Album eine klare Weiterentwicklung durchlaufen und zeigt enormes Potenzial, dennoch wirkt Erasure of Color stellenweise zu eklektisch. Gerade im Progressive Metal ist es wichtig, trotz Vielseitigkeit einen roten Faden zu behalten – und genau das fehlt hier teilweise.
Dennoch, AVERSED überzeugen mit polyrhythmischer Raffinesse und einem einzigartigen Mix aus wuchtiger Instrumentierung und filigranen Melodien.
Fazit: AVERSED liefern ein technisch anspruchsvolles Werk, das zwischen kraftvoller Instrumentierung und komplexer Melodik balanciert.
Tracklist
01. To Cover Up The Sky
02. Cross To Bear
03. Lucid Decapitation
04. Inexorable
05. Burn
06. Solitary
07. Erasure Of Color
08. Yearning
09. Departures
Besetzung
Sarah Hartman – Vocals
Sungwoo Jeong – Guitars
Alden Marchand – Guitars
Martin Epstein – Bass
Jeff Saltzman – Drums