Ein Album, das vom ersten Moment an verspricht, tief im alten Geist des Black Metal zu wurzeln. Gleich zu Beginn setzt „Campos Infernais“ mit einem einfachen, aber wirkungsvollen Riff ein, bevor der klassische Old-School-Black-Metal voll durchschlägt. Der Song überzeugt durch ein solides Rhythmusfundament, geisterhafte Schreie aus einer anderen Welt und vor allem durch eine dunkle, mystisch aufgeladene Atmosphäre. Auch die Komposition wirkt durchdacht: ein melodischer Einstieg, ein starker Aufbau.
Mit „Ódio Viciante“ zieht das Tempo merklich an – das Schlagzeug hämmert unerbittlich, begleitet von sägendem Gitarrenriffing. Wieder sind es diese rauen, kratzenden Schreie, die eine unheimliche und trostlose Stimmung erzeugen. Wer hier an die frühen Werke von Burzum oder Thorns denkt, liegt genau richtig: „Capítulo I – Dimensão Horrenda“ ist klanglich eine nahezu perfekte Verkörperung der norwegischen Second Wave des Black Metal.
Ein portugiesisches Debüt mit nordischer Seele
Hinter VETUS SANGUIS steckt ein Ein-Mann-Projekt aus dem Norden Portugals, genauer gesagt aus Braga. Gegründet wurde es 2021 von Perversus, auch bekannt von Sumbra. Er spielt alle Instrumente, komponiert die Songs – kurzum: alles stammt aus einer Hand. Nach einem Demotape im Jahr 2022, das auf positive Resonanz stieß, folgt nun das erste Album: Capítulo I – Dimensão Horrenda. Der Bandname VETUS SANGUIS lässt sich mit „altes Blut“ übersetzen – und auch das deutet bereits klar auf die musikalische Ausrichtung hin.
Intensive Riffs und dynamische Tempowechsel
„Gritos Silenciosos“ glänzt mit einem starken Crescendo und prägnantem Gitarrenriffing. Eine deutliche Tempoverschiebung und eine veränderte Songstruktur bringen neue Dynamik ins Geschehen und gestalten die Klanglandschaft vielschichtig und spannend. Obsessive Riffs und tremolierte Gitarrensolos machen diesen Track zu einem der Höhepunkte des Albums.
Auch textlich bewegt sich VETUS SANGUIS ganz in der Tradition der norwegischen Urväter: Anti-Christentum, Hexerei, Misanthropie, Heidentum – zentrale Themen, die sich konsequent durch das Album ziehen.
Höllisches Tempo und düstere Klangfarben
„Trombetas Diabólicas“ – zugleich die erste Single des Albums – bringt ein noch höheres Tempo, das vom Schlagzeug unerbittlich vorgegeben wird. Das Gitarrenriff trägt die musikalische Linie voran und entwickelt sich in infernalischer Black-Metal-Manier weiter. Die Gitarre wechselt dabei geschickt zwischen Riff, Rhythmusarbeit und Solo-Passagen, während das dominante Drumming den Song antreibt. Ein kaum hörbarer Chor verleiht der Komposition zusätzliche Tiefe und Atmosphäre – ein weiterer starker Moment dieser LP.
Ein bemerkenswertes Solo-Werk
Die Produktion ist roh und orientiert sich hörbar an den Traditionen des norwegischen und schwedischen Black Metal der 90er-Jahre. Die Gitarren wurden klanglich gut eingefangen und harmonieren mit dem Gesamtbild, das Schlagzeug ist allerdings sehr weit im Hintergrund, der Bass nahezu unhörbar. Auch die Vocals könnten eine Spur präsenter sein. Insgesamt jedoch ist der Sound erwartungsgemäß lo-fi und dissonant – wie es sich für ein Werk dieser Spielart gehört. Für Mix und Mastering war – natürlich – ebenfalls Perversus verantwortlich, womit „Capítulo I – Dimensão Horrenda“ ein durch und durch eigenständiges und überraschend überzeugendes Werk eines Einzelnen darstellt.
Ein völlig aus dem Rahmen fallender Track ist „The Possibility of Life’s Destruction“. Das liegt daran, dass es sich hier um ein Cover handelt – und zwar des gleichnamigen Songs der Hardcore-Punk-Legende Discharge vom 1982er Album Hear Nothing See Nothing Say Nothing. Durch den musikalischen Ursprung im Punk ergibt sich ein gänzlich anderer Grundcharakter, der von VETUS SANGUIS jedoch radikal in ein schwarzes Gewand gehüllt wird. Eine interessante Wahl – und ebenso eine mutige Herangehensweise, die zeigt, wie wandelbar die schwarzmetallische Ausdrucksform sein kann.
Sperrige Härte trifft auf melancholische Tiefe.
„Saturno“ knüpft lose an die Energie des Covers an: hohes Tempo, deutlich abrasiver als die vorherigen Stücke. Die Gitarre übernimmt erneut die volle Kontrolle über das Geschehen. „Nada, Faz Sentido“ hingegen schlägt melancholischere Töne an – ein insgesamt langsamerer, auf Atmosphäre fokussierter Song mit einer kalten, traurigen Grundstimmung. Der Titel lässt sich übersetzen mit: Nichts ergibt Sinn. Zittrige Tremolo-Soli und geisterhafte Vocals prägen einen weiteren Höhepunkt der Platte.
„Dimensão Horrenda“, der titelgebende Track, führt das musikalische Manifest konsequent weiter – rauer, aggressiver und deutlich dissonanter als seine Vorgänger. Der Song wirkt weniger harmonisch, aber genau das scheint hier das gestalterische Prinzip zu sein. Es entfaltet sich eine andere, düstere Atmosphäre: okkult, misanthropisch, kalt. „Jardim de Mármore“ hält das hohe Tempo, bringt geschriene Vocals und ein scharfes Klangbild, das perfekt ins Gesamtgefüge des Albums passt.
Mit „Transcendência“ endet das Album auf überraschende Weise: kalte Akustikgitarren, hallende Klangflächen und verschachtelte Akkordschichten bilden ein kurzes, hypnotisches Outro. Die Atmosphäre ist entrückt und fast meditativ – ein gelungener Kontrast zu den restlichen Songs und ein stimmiger Abschluss.
Ein dunkler Tribut an die Tradition
Diese Songs rufen gleichermaßen mystische wie archaische Emotionen hervor. Die Gitarren – in verschiedenen Klangebenen und mit intensiver Präsenz – tragen das Werk und sind das dominierende Element. Trotz der starken Verankerung im traditionellen Black Metal bietet das Album genug frische Ansätze, um sich von älteren Genrevertretern abzuheben. Ohne wie eine Kopie zu wirken, ist es zugleich eine Hommage an Bösartigkeit, Zorn und Verderben.
Capítulo I – Dimensão Horrenda ist ein Pflichtalbum für alle Black-Metal-Fans. Perversus fängt auf diesem Werk den Geist des Genres mit beeindruckender Treue ein und ehrt seine düstere Pracht. Das Album erinnert uns daran, dass die charakteristischen Sägezahn-Riffs von VETUS SANGUIS meisterhaft dazu dienen, Finsternis und Qual heraufzubeschwören – unterstützt von durchgehend portugiesisch gesungenen, markerschütternden Vocals. Ein Debütalbum, das das norwegische Black Metal-Erbe lebendig hält
Fazit: Ein trve Black Metal-Album, das frische Impulse setzt, ohne seine traditionellen Wurzeln zu verleugnen.
Tracklist
01. Campos Infernais
02. Ódio Viciante
03. Gritos Silenciosos
04. Trombetas Diabólicas
05. The Possibility of Life’s Destruction (Discharge cover)
06. Saturno
07. Nada, Faz Sentido
08. Dimensão Horrenda
09. Jardim de Mármore
10. Transcendência
Besetzung
Perversus – Vocals, all instruments