Im Zuge des Dornenreich Gigs am 9.12.16. im Grazer Explosiv, nahm sich Jochen „Eviga“ Stock vor seinem Gig die Zeit, zum 20 jährigen Bandjubiläum die daraus resultierenden Fragen zu beantworten. Herausgekommen ist ein überraschend langes und ehrliches Interview, welches sehr abwechslungsreich und informativ ausgefallen ist. Doch überzeugt Euch am besten selbst:
GS: Ihr habt ja bereits im März dieses Jahres mit eurer Jubiläumstour begonnen und du warst währenddessen gesundheitlich ziemlich stark angeschlagen. Was hast du genau gehabt und wie bist du bei den Auftritten mit diesem Handicap umgegangen?
Eviga: Gott sei Dank handelte es sich dabei „nur“ um eine klassische Erkältung. Trotzdem gab es immer wieder kritische Momente, vor allem wenn man nur zu dritt auf der Bühne steht und ich als Gitarrist und Sänger zugleich fungiere. Noch dazu schone ich mich nicht unbedingt auf der Bühne und wenn man dann merkt, dass ein Fieberschub kommt, ist das ein ziemlich schwieriger Moment. Die Grippe war zwischendurch so stark, dass ich schon mit dem Gedanken spielte, Änderungen an der Setlist vornehmen zu müssen.
GS: Stichwort Setlist: Diese ist ja bei diesen speziellen Jubiläumskonzerten in einen akustischen und einen metallischen Part aufgeteilt. Wie kommt dies beim Publikum an?
Eviga: Ich glaube, dass die Reihenfolge (zuerst die akustischen Songs) eine gute Dramaturgie darstellt. Man könnte es ja auch umgekehrt anlegen, sodass das akustische Set zum Schluss kommt. Dann müsste ich nach dem energieraubenden Metalset, schweißgebadet die ruhigen Nummern zum Besten geben, was nicht funktionieren würde. Deswegen haben wir die Dramaturgie so ausgewählt, dass sich die Setlist immer mehr aufbaut und die entladende Energie gegen Ende kommt.
GS: Nach welchen Kriterien wurden die Songs ausgewählt?
Eviga: Natürlich haben wir des öfteren aufgeschnappt, was unsere Fans gerne live hören würden. Aber wir haben uns dabei doch eher Gedanken darüber gemacht was am stimmigsten ist, wenn man den Spannungsbogen vom akustischen Beginn berücksichtigt. Außerdem erschien es uns auch wichtig, wie wir zu dritt die ausgewählten Songs am besten umarrangieren können. Wir haben bei der Auswahl weniger an die Präferenzen von außen gedacht, als wie es am meisten Sinn macht, was den Energiefluss betrifft.
GS: Wie kam es dazu, die ursprünglich akustische Nummer „Jagd“ live in einer Metalversion vorzutragen? Gewinnt sie dadurch mehr an Power bzw. Aussagekraft?
Eviga: Nein, nicht unbedingt. Wir haben ja bereits sehr früh damit angefangen, Metalstücke – wie „Reime faucht der Mächensarg“ – akustisch zu spielen. Das unterstreicht die Wahrnehmung des Stückes, wenn es funktioniert. Es geht ja hauptsächlich um die Melodien und Harmonien bzw. die Essenz der Musik. Und so ist es bei „Jagd“ auch der Fall. Ich habe immer beide Versionen im Hinterkopf und die Energie des Songs ist immer präsent – egal in welcher Version.
GS: Eviga, da du ja für Texte und Musik zuständig bist…würdest du es übertrieben finden, Dornenreich als ein Ein-Mann-Projekt zu bezeichnen?
Eviga: Ja schon, das kann ich nicht behaupten. Es war vielleicht mal 2005/2006 der Fall, als das Gründungsmitglied ausgestiegen ist und ich alleine in der Band war. Dies war während der „Durch den Traum“ Zeit. Doch mittlerweile ist Thomas Riesner schon elf Jahre an der Geige mit dabei und auch sehr hineingewachsen in das Ganze. Moritz Neuner ist nun auch schon seit 1997 mit von der Partie und so ist Dornenreich definitiv eine Band, zu der all Mitglieder auch künstlerisch beitragen.
GS: Apropos Moritz Neuner: Dein Schlagzeuger ist ja zwischenzeitlich von Dornenreich ausgestiegen. Kannst du uns die genauen Gründe dafür erläutern? Denn meinen Informationen nach seid ihr nicht unbedingt im Guten auseinander gegangen…
Eviga: Das Ganze passierte im Jahr 2001 und wir konnten die Ungereimtheiten voll und ganz aus dem Weg räumen. Seit 2005 ist er wieder fix hinter den Kulissen als Booker und Manager und seit 2007 auch wieder fix als Schlagzeuger bei uns.
GS: Themenwechsel: Während eure ersten zwei Alben eindeutig die härtere Black/Dark Metal Schiene fuhren, wurde dieser Stil auf dem darauffolgendem „Her von welken Nächten“ nahezu perfektioniert und erreichte (auch heute noch) absoluten Kultstatus! 90 Prozent der übrigen Bands wären auf „Nummer Sicher“ gegangen und hätten den nächsten Schritt in Richtung Kommerz gewagt, um so den Durchbruch zu schaffen und Erwartungen zu erfüllen. Doch Dornenreich brachen mit „Hexenwind“ jegliche Konventionen und stießen so manchen Die-Hard-Fan ordentlich vor den Kopf. Wie kam es zu dieser musikalischen Entwicklung (hypnotische Gitarrenriffs, sperriger Gesang, 70es Touch etc.)?
Eviga: Das hat sich insofern sehr natürlich ergeben, weil für mich Musik immer eine sehr existentielle Sache darstellt, sehr stark gebunden an meine persönliche Entwicklung. Dornenreich ist ein Tagebuch meines Empfindens, sehr stark gekoppelt an meinen Lebensweg und deswegen war es ganz klar, dass „Hexenwind“ in eine andere stilistische Kerbe schlagen wird. Nach „Her von welken Nächten“ war ein Punkt erreicht, an dem wir sehr, sehr viele Einflüsse gehabt haben bzw. es schon so sehr erweitert hatten, dass wir ursprünglich schon ein zweites Projekt ins Auge gefasst hatten. Hexenwind hätte eine eigene Band werden sollen. Doch das kam für mich letztendlich nicht in Frage. Es hat mich dann zum Beispiel selbst überrascht, dass wir zehn Jahre nach „Her von welken Nächten“ und den dazwischenliegenden akustischen Outputs mit „Flammentriebe“ nochmals ein Album mit eindeutig metallischer Grundausrichtung gemacht haben. Es ist mir enorm wichtig, dass man unberechenbar bleibt und sich dennoch im Geiste der Musik bewegt. Darauf folgte mit „Freiheit“ wieder ein sehr facettenreiches Album mit akustischer Schlagseite. Und so soll es in Zukunft auch bleiben.
GS: Wie würdest du deine Musik am besten selbst beschreiben? Hältst du viel von Schubladen-Kategorisierungen im allgemeinen?
Eviga: Wir haben schon sehr früh begonnen, das Ganze eigen zu beschreiben. Ich kann mich noch genau an den Werbeflyer für unser zweites Album erinnern. Da ist draufgestanden, dass dies unsere Interpretation von Black Metal ist. Bei der dritten Veröffentlichung ging es dann um die neun Wogen düsterer, dynamischer Intensität. Seit „In Luft geritzt“ haben wir eigentlich nur mit den Begriffen intensiv, mystisch und zeitlos versucht, unseren Stil zu umreißen.
GS: Wie bist du eigentlich auf den Namen Dornenreich gekommen? Beschreibt er deinen Klangkosmos oder…
Eviga: Der Name stammt nicht von mir, sondern von unserem Ur-Basissten. Ich sehe das mittlerweile mehr als adjektivisch. Ein sehr intensiver Gefühlszustand.
GS: Du schreibst deine Texte ja ausschließlich in deutscher Sprache. Würde es für dich nicht einmal in Frage kommen, einen Text in Englisch zu komponieren?
Eviga: Ich habe in den letzten Jahren tatsächlich sehr viel experimentiert. Da ich vor allem live enorm extrem agiere und die Lyrics mir sehr nahe liegen, würde in einer anderen Sprache viel von dieser Authentizität verloren gehen.
GS: Die ersten zwei Alben habt ihr über CCP Records veröffentlicht, nun seit ihr bei Prophecy. Hat der Labelwechsel mit dem Stilwandel eurer Musik etwas zu tun?
Eviga: Ja insofern, dass wir uns bei Prophecy sehr gut aufgehoben fühlen. Wir fühlen uns künstlerisch verstanden und da steckt auch von Labelseite sehr viel Euphorie dahinter. Das hat uns dazu beflügelt, noch viel mehr auszuprobieren
GS: Wie stehst du zu Kritik eurer Musik gegenüber und wie gehst du damit um? Geht dir das sehr an Herz und Nieren?
Eviga: Es kommt immer drauf an, wie fundiert diese ist. Es gibt Kritik, die geäußert wird, wo ich nach Jahren noch den genauen Wortlaut weiß. Denn es hat dann in mir selber etwas ausgelöst, wo ich mir schon vorher selbst etwas unsicher war. Das kann ich dann sehr wohl gut nachvollziehen, weil ich mir selbst darüber meine Gedanken gemacht habe und insofern ist Kritik auch aufschlussreich und förderlich. Doch Dornenreich hat immer schon extrem polarisiert und würde ich mir die Kritik zu sehr zu Herzen nehmen, würde es die Band schon lange nicht mehr geben.
GS: Wie stehst du zu Coverversionen, Neuaufnahmen und Best Of – Alben? Wird es so etwas von Dornenreich einmal geben?
Eviga: Wir waren schon mal kurz davor, von Tori Amos eine Coverversion aufzunehmen, was sicher sehr interessant gewesen wäre. Es hätte niemand von uns erwartet und ich bin mir sicher, dass wir da einen sehr interessanten Zugang gefunden hätten. Doch ich halte auch von Neuaufnahmen wenig. Das wirst du von uns kaum jemals hören. Ebenso fragwürid sehe ich das Projekt eines Best Of – Albums. Da wir so viele Alben haben und den jeweiligen Spannungsbogen herausnehmen müssten, ergäbe das kaum Sinn. Außerdem sehe ich die Auswahl bestimmter Songs auf einer Best Of als Abwertung gegenüber den anderen Songs.
GS: Thema Texte: Ist es für dich wichtiger, dass die Fans deine Texte frei interpretieren oder sollen sie deine Botschaften verstehen und daran wachsen?
Eviga: Das ist eine ganz schwierige Frage…mir ist es prinzipiell schon am wichtigsten, dass ich das sage, was ich sagen will. Doch ich versuche die Texte schon so bildhaft und metaphorisch zu gestalten, dass genügend Raum für Interpretationen bleibt. Ich versuche bewusst einzelne Zeilen zu schreiben, die dann hängen bleiben und über die sich die Zuhörer Gedanken machen sollen. Bei uns stehen die Texte ja auch nicht im alleinigen Vordergrund, sondern gehen schon mit der Musik einher. Ich spiele natürlich gerne große Konzerte (Wacke, Summer Breeze etc.). Doch es ist etwas ganz anderes, vor einem kleineren Publikum auzutreten. Im Grunde ist unser Rahmen ein anderer bzw. intimerer, in dem die Musik richtig aufgehen kann. Als Beispiel kann ich dir die akustischen Konzerte nennen, die wir vermehrt in Kirchen spielen. Die Leute gehen in solche Locations mit ganz anderer Erwartungshaltung rein und da kann ich in der Musik voll aufgehen bzw. die Musik kann richtig atmen. Das ist schon etwas Besonderes und hat einen gewissen Erlebnischarakter. Für mich spielt da auch Spiritualität eine große Rolle. Denn diese Plätze sind Kraftorte, wo man wirklich in große Tiefe vordringen kann und wo sich unser Ausdruck voll und ganz entfaltet.
GS: Dornenreich ist ja eine Dark Metal Band und bringt aber – im Gegensatz zu ihren Genrekollegen – bei weitem nicht so viel negative Energie rüber…
Eviga: Für mich geht es darum, das Leben besser zu verstehen und dies musikalisch zum Ausdruck zu bringen. Dazu gehören die vielen Facetten und Polaritäten, die eine große Rolle im Leben spielen. Für mich wäre es einfach zu wenig, sich auf eine (negative) Seite zu konzentrieren. Mir geht es in der Musik darum, die verschiedenen Energien, Seiten und Ausdrucksformen zu verbinden und so die Wahrnehmung dafür zu sensibilisieren, wie das alles zusammenspielt.
GS: Ich möchte jetzt gegen Ende des Interviews nochmals auf die 20 Jahre Jubiläum zurückkommen. Kannst du uns aus dieser Zeit eine Anekdote erzählen, die dir hängengeblieben ist und dir auf Anhieb einfällt?
Eviga: Da gibt es viele und die meisten sind an Menschen gekoppelt. Das erste, was mir nun eingefallen ist, betrifft ein Akustikkonzert in der Nähe von Marseille. Es war eine spezielle Veranstaltung und es war nicht sehr viel los. Aber plötzlich stand am Parkplatz vor uns ein Chinese, gekleidet in ein „Durch den Traum“ T-Shirt. Er hat uns erzählt, dass er in einem kleinen Fischerdorf in China aufgewachsen ist und dann hat er eines Tages „Durch den Traum“ gehört, was ihn zutiefst ergriffen hat. Deswegen musste er nach Deutschland gehen und Philosophie studieren, meinte er. Das Album hat also sein ganzes Leben verändert und es ist noch immer berührend, welche‘ dankbar und euphorische Ausstrahlung er an diesem Abend hatte.
Was uns dabei auch generell sehr ehrt, ist die Tatsache, welche Wege viele Leute auf sich nehmen, um Dornenreich nahe zu kommen – einfach unfassbar! Das ist für mich das größte Kompliment, denn wie oft würde man das selbst auf sich nehmen?
GS: Nachdem wir jetzt über ein positives Ereignis gesprochen haben….gab es in den 20 Jahren etwas, dass du total bereust und am liebsten rückgängig machen würdest?
Eviga: Sicherlich auch, vor allem was die Lebensschule betrifft. Es gab sehr schwierige, dunkle Phasen schmerzhafter – doch im Rückblick unabdingbarer – Persönlichkeitsentwicklung. Auch die Zeit als Moritz und ich uns uneinig waren und auseinander gegangen sind. Damals sind viele Facetten von uns aufeinander geprallt, die uns als Persönlichkeiten damals ausgemacht haben. Ich habe schon oft betont, dass es der größte negative Einschnitt war, zunächst ohne Moritz weitermachen zu müssen.
GS: Du steckst ja bereits wieder mitten in den Arbeiten für dein nächstes Studioalbum und das, obwohl du eine Pause einlegen wolltest. Was hat dich dazu bewegt, gleich weiter zu machen und kannst du uns darüber etwas verraten?
Eviga: Ich kann euch eines verraten: was sich abzeichnet ist, dass sich die akustische Seite immer mehr als Zentrum unseres Ausdrucks etabliert. Denn dabei handelt es sich ja nicht um eine Vielzahl ähnlich gelagerter Stücke, sondern um puren und vielseitigen Ausdruck und es fühlt sich fantastisch an, auf diese ursprüngliche Weise Musik zu machen.
Was ich noch sagen kann ist, dass der Albumtitel immer als erstes steht, dann die Texte geschrieben werden und die Musik erst danach dazu kommt. Musik entsteht bei uns laufend. Sie gehört zu uns und wir mussten und müssen nichts forcieren. Das hat sich in den letzten Jahren deutlich gezeigt.
GS: Eviga, ich möchte dir zum Schluss noch die Möglichkeit geben, unseren Lesern ein paar Worte mit auf dem Weg zu geben.
Eviga: Gerade dieses Jubiläumsjahr hat mir gezeigt, wie vielen Leuten Dornenreich viel bedeutet und das hat mir auf jeden Fall sehr viel gegeben. Gerade in Zeiten, in denen man sich wieder mit dem Ausgangspunkt verbinden möchte, ist das äußerst wertvoll und ermutigend. Ich würde lügen, wenn ich behaupten würde, dass alle Reaktionen an mir abprallen.
GS: Kannst du dir vorstellen, dass es Dornenreich noch einmal 20 Jahre gibt?
Eviga: Sicher, wir werden unseren Weg finden und uns entwickeln. Das habe ich vorhin gemeint: das Akustische wird in Zukunft mehr und mehr unser Weg sein. Und in akustischem Gewand kann ich mir uns auch noch in 20 Jahren vorstellen.
Was ich noch unbedingt anbringen möchte: Unser Rückzug nach „Freiheit“, nach dem wir angekündigt hatten, wohl für längere Zeit kein weiteres Studioalbum aufnehmen würden, wurde oft völlig missverstanden und was mich dabei irritiert und auch zuweilen enttäuscht hat, war die Reaktion mancher Leute, die meinten, dass wir damit aufhören sollten, falls wir keine Lust mehr auf Musik haben sollten. Doch das genaue Gegenteil war und ist der Fall. Wir haben bewusst einen Schritt zurück gemacht, um den Kern von Dornenreich zu schützen und um uns nicht kaputt zu machen. Die Meisten gehen heute so weit, bis sie vollkommen ausgebrannt sind. Es ist ja kein Geheimnis, dass es in der Musikwelt immer schwieriger wird, seinen Weg auf einem hohen Niveau zu gehen. Und zumal wir uns nicht zu Tode touren wollten, war es an uns, uns neu an unseren künstlerischen Wurzeln auszurichten, um Dornenreich weiterführen zu können.
Und zuletzt ein großes Dankeschön dafür, dass uns nach wie vor so viele Menschen begleiten und das nun bereits seit so vielen Jahren und über verschiedene Lebensphasen hinweg.