Interview mit GEFRIERBRAND 2020
Im Zuge unseres Specials „S.O.S. (save our scene)“ haben wir uns mit Gefrierbrand unterhalten, die erst kürzlich ihr makaberes drittes Album „Es war einmal“ veröffentlicht haben. Der unsichtbare Antagonist COVID-19 hat auch vor ihnen nicht Halt gemacht und ihre Release-Tour auf Eis gelegt. Wir haben uns erkundigt, wie es den Pforzheimern geht, wie sie mit der momentanen Situation umgehen und interessante Einblicke in die Geschichte der Band, das neue Album und zukünftige Vorhaben bekommen.
„Es war einmal“ hat bis jetzt – zu Recht – richtig gute Kritik bekommen. Mich würde brennend interessieren, wo die Inspiration für euer (Schauer)Märchenalbum hergekommen ist und wie ihr überhaupt auf die Idee gekommen seid:
Säsch (SD, Gitarre): Märchen, Sagen und Erzählungen liefern seit jeher Gesprächsstoff, regen die Fantasie an und inspirieren. Wir alle sind damit aufgewachsen, kennen auch insbesondere noch die alten, ungeschönteren Versionen. Da lag es nahe, genau das zu verarbeiten. Weder in den alten Sagen noch in der Realität gibt es ausschließlich strahlende Ritter und Happy Ends – vermischt mit einer ordentlichen Prise Zynismus sind das ganz hervorragende Voraussetzungen für ein Märchenbuch auf Gefrier-Art.
Tom (TS, Gesang): In meinem Kopf spukte schon lange die Idee eines Konzeptalbum mit Wesen aus der Mythologie herum. Ca. zwei Jahre nach der Veröffentlichung von „Weltenbrand“ war es für die Band an der Zeit, neue Wege zu gehen. Wir wollten raus aus der Kriegsthematik und der rechten Ecke, in die man uns allein wegen dem Cover immer wieder, zu Unrecht, steckte. Der Findungsprozess dauerte ungefähr ein Jahr und hat uns über Spacecowboys zu Horrofilmen und Dinosauriern Richtung Märchen, Sagen & Legenden geführt. Das war und ist ein Thema, mit dem wir alle aufgewachsen sind, für das wir uns alle noch interessieren und das viel zu wenig Beachtung findet. Wir können uns einfach alle damit identifizieren.
Neben klassischen Märchen, wie Hänsel und Gretel, Dornröschen oder Rotkäppchen, werden Märchen und Sagen thematisiert, die – zumindest mir – wenig bis gar nicht bekannt sind. Zum Beispiel habe ich bei einem meiner Lieblingssongs des Albums, „Tief im Forst“, keine Ahnung, auf welche Geschichte hier Bezug genommen wird. Warum habt ihr euch gerade für diese Märchen, Legenden und Sagen entschieden?
SD: Speziell zu „Tief im Forst“: der Song basiert auf einem Märchen von Wilhelm Hauff. Einer meiner Lieblingserzählungen! Spielt im tiefen Schwarzwald und war daher einer der naheliegendsten Märchen für unsere Scheibe. Die Idee zum Song spukt mir schon lange im Kopf herum – und jetzt war der Zeitpunkt einfach perfekt. Jedes Märchen auf dem Album hat in der einen oder anderen Form eine spezielle Bedeutung für mindestens eins der Bandmitglieder – und sei es nur das Bedürfnis, der Geschichte ein anderes Ende zu geben.
Thematisch unterscheidet sich „Es war einmal“ relativ stark von euren beiden Vorgängern. War dadurch die Produktion des Albums auch anders?
SD: Die Produktion war auf jeden Fall anders… aber nicht zwangsläufig wegen des Themas. Während wir bei den Aufnahmen zu „Weltenbrand“ den Großteil der Zeit mit mehreren Leuten im Studio saßen, haben andere Verpflichtungen, Termine und Urlaube diesmal für etwas ausgedünntere Reihen gesorgt.
TS: Jain. Wir haben uns für manche Songs mehr Zeit gelassen, sie auch mal ein halbes Jahr liegen gelassen, bevor wir uns entscheiden haben in welche Richtung das Lied geht. „Grab aus Dornen“ zum Beispiel ist eines davon. Zwischenzeitlich klang das Lied ganz anders. Im Studio wurde, im Gegensatz zu den Vorgängern, auch noch viel geändert, das war für uns auch eine neue Erfahrung.
Wie seid ihr auf euren ungewöhnlichen aber absolut genialen Bandnamen gekommen?
TS: So genial ist er leider nicht, zumindest bringt er viele Anfeindungen und Probleme mit sich im bierernsten Untergrund…
Gefrierbrand wurde damals als reines Spaßprojekt gegründet. Das große Vorbild war Eisregen. Die Überlegung war damals, einen Bandnamen zu finden, der genauso „kalt“ klingt, irgendwie eklig aber dennoch symbolisiert das es sich einfach um Spaß handelt. Gefrierbrand eben.
Als die ganze Sache dann aber irgendwann ernster wurde und man dann doch wirklich Musik machen wollte (was vorher nicht geplant war) war es zu spät, den Namen zu ändern. Wir haben oft darüber gesprochen das zu tun, nur hatten wir regional schon etwas an Bekanntheit erlangt, sodass es vielleicht kontraproduktiv gewesen wäre, den Namen tatsächlich zu ändern. Und, sind wir mal ehrlich, irgendwas ultra trves böses Metalmäßiges mit Leichen, Geschlechtsverkehr, der Hölle oder Hass, Wut, Krieg…das machen doch alle und wird auf Dauer langweilig.
Nun zu einem weniger erfreulichen Thema: Momentan herrscht weger der Corona-Krise Chaos auf der ganzen Welt. Besonders Künstler*innen machen sich gerade um ihre wirtschaftliche Situation Sorgen – Konzerte fallen aus, Touren müssen abgesagt oder bis auf unvorhersehbare Zeit verschoben werden… Auch ihr musstet bereits fünf Konzerte absagen, die im März und April stattgefunden hätten. Wenn es ok für euch ist, würde ich euch daher gerne fragen, wie ihr als Band mit dieser Situation umgeht.
TS: Das ist alles sehr ärgerlich, aber leider nicht mehr zu ändern. Die Situation gibt uns Zeit, stärker am Nachfolger von „Es war einmal…“ zu arbeiten als ursprünglich geplant. Es ist auch Zeit, persönlich etwas runterzufahren. Wir wären fast jedes Wochenende auf Achse gewesen, das fällt jetzt alles weg, und wer weiß, was noch so an Konzerten wegfallen wird. Das gibt uns als Menschen die Chance, dem Trubel zu entkommen und gestärkt in das zu starten, was vor uns liegt.
SD: Im Moment fühlt es sich tatsächlich eher nach einer „Ohnmacht“ an. Wirklich etwas tun kann man nicht – außer sich an die empfohlenen Maßnahmen zu halten und das Beste zu hoffen. An der Stelle ist es unser „Glück“, dass wir von unserer Musik noch nicht leben können. So ist es natürlich zwar ärgerlich um die Arbeit, die im Vorfeld in die Organisation gesteckt wurde und um die Erfahrungen, die uns jetzt auf Tour entgehen. Aber für die Veranstalter und Locations ist das Ganze vermutlich bedeutend schlimmer. Wir versuchen, für uns das Beste aus der Situation zu machen, sind fleißig am Üben und Songs Schreiben… jeder bei sich zu Hause, versteht sich!
Was hat sich durch die Corona-Krise im Bezug auf eure Zukunft verändert?
SD: ich glaube auf uns als Band hat es tatsächlich weniger direkte Auswirkungen. Vielleicht hat es sogar etwas Gutes? Angeblich fördern Ausgehverbote ja die Kreativität und vielleicht ist die Wartezeit aufs den Nachfolger dann kürzer? 😉
TS: Das kann ich jetzt noch nicht sagen. Falls Veranstaltungen im Herbst wieder laufen dürfen, haben wir und alle anderen kleinen Bands vermutlich das Problem, dass unsere Konzerte leer bleiben, da gefühlt irgendwie alle ihre Gigs in den Herbst 20 und das Frühjahr 21 geschoben haben.
D.h. für uns entweder, wir werden in Zukunft weniger Gigs spielen, dafür ausgewähltere und größere oder wir werden viel viel mehr spielen und einfach alles annehmen, was so kommt, nur um im Markt zu bestehen. Wir wissen es leider nocht nicht. Vielleicht findet ja auch ein Umdenken des Publikums statt und die konzertlose Coronazeit wird dafür sorgen, dass der Underground wieder besser besucht wird?
So wie aus Märchen, Legenden und Sagen kann man natürlich auch aus dieser Situation etwas Wichtiges lernen. Was denkt ihr, können wir daraus lernen?
TS: Ich glaube das wichtigste, was man daraus lernen kann ist, dass nichts selbstverständlich ist!
Das Problem dabei ist allerdings, dass wir in den letzten 1000 Jahren schon unzählige Male die Gelegenheit hatten, etwas zu lernen, die Menschheit das gelernte aber schlicht vergessen hat…oder ignoriert. Ich glaube, das wird auch nach dieser Krise der Fall sein, leider.
SD: Eine Menge über sich selbst. Vor allem, wie schnell sich Perspektiven ändern können.
Kudos all jenen, die insb. in der Pflege und Medizin das ganze am Laufen halten!
Zu guter Letzt: Wie können euch eure Fans jetzt am besten unterstützen?
SD: Streamen geht ganz hervorragend auch aus der Quarantäne heraus. Wer es lieber klassisch physisch mag, kann jederzeit gerne über unsere Website ein Exemplar der neuen CD abgreifen: gefrierbrand-band.de. Die finanziell stärkste Auswirkung ist auf jeden Fall der Wegfall der Shirtverkäufe. Mit frischen Auflagen und Motiven ins Jahr gestartet, wäre die Tour dafür ideal gewesen… wir arbeiten da schon an einger digitalen Lösung! Bis dahin sind wir aber gern über unsere Website schon erreichbar für eine Beratung für des Kaisers neue Kleider!
Zuletzt – es muss sein – bleibt zuhause. Haltet Euch an die empfohlenen Maßnahmen. Zeigt Solidarität, Zusammenhalt und seid für einander da. Und sobald wir alle wieder raus dürfen: kommt auf unsere Gigs! \m/
TS: Ich könnte jetzt sagen: Kauft unser Zeug! Klar, das würde uns tatsächlich unterstützen, so wie es das auch ohne Corona getan hätte. Vielleicht ist es aber sinnvoller, sein Geld in die Unterstützung der Clubs und die Wirtschaft zu stecken, statt in die kleinen Bands. Die meisten Menschen, die in unserem Sektor in einer Band sind, haben Fulltime Jobs und sind zum Glück nicht darauf angewiesen, dass jetzt 5 CDs mehr verkauft werden als üblich. D.h. die Bands wird es nach Corona auch noch geben, weil keine Existenzen dahinter stecken die dadurch zugrunde gehen. Ich selbst arbeite in der Veranstaltungsbranche und befinde mich in 100% Kurzarbeit, das hat allerdings keine direkten Auswirkungen auf die Band Gefrierbrand. Ein Club allerdings, der meist tatsächlich ein Standbein des Betreibers ist, um überleben zu können, könnte durch die Situation pleite gehen. Das führt dazu, dass es weniger Räume für Auftritte gibt. An diesem Punkt wären wir dann dabei, dass es für die kleinen Bands gefährlich wird. Die finden dann entweder keine Bühne mehr um ihre Songs zu zeigen oder die Läden, die gerade so überlebt haben, verlangen Mieten die sich keine kleine Band leisten kann…daher, man kann uns am besten damit unterstürzen, dass man uns die Bühnen sichert, die wir brauchen…und wenn alles vorbei ist, unsere Konzerte besucht!
Das war’s auch schon von meiner Seite. Danke, dass ihr euch Zeit genommen habt! Wenn euch noch etwas am Herzen liegt, dass ihr gerne loswerden möchtet, immer her damit!
„Noch schlimmer trifft es aktuell Veranstalter und Locations, die neben Herzblut und Schweiß auch oft größere finanzielle Summen in ihre Projekte gesteckt haben. So musste z.B. unser Freund Matthias Häcker ganz kurz vor knapp sein NoPlayback Festival (u.a. mit Tankard) absagen. Unsere Heimspiel-Arena Sakrema, die auch unseren Releasegig ausgerichtet haben, muss vorläufig geschlossen bleiben. Und auch unsere offiziellen Sponsoren vom Krokokeller Karlsruhe, Sägewerk Pforzheim und Pyrolase GmbH sind akut und direkt betroffen…“