Ich verstehe jeden, der mit RUNNING WILD nichts mehr anfangen kann.
Aber wer von einem sechzigjährigen Sturkopf erwartet, daß er noch das gleiche Tempo wie vor dreißig Lenzen vorlegt und seine Ideen, ob sie nun in die ursprünglich angedachte Konzeption passen oder nicht, einfach so verwirft, der sollte sich einer anderen Band widmen.
So richtig auf eine neue Platte meiner einstigen Helden freute ich mich, trotz des tollen Vorgängers, auch nicht wirklich. Das Vertrauen als Fan in Rolf ist zwar vorhanden, eher lag es vor allem am üblichen Geseier des Herrn Kasparek, der mit „das beste RUNNING WILD-Album bisher“ und „es ist das abwechslungsreichste Album der Bandgeschichte“, nicht nur langsam nervt, sondern allein schon beim Begriff „Band“ verkackt hat.
Im Promopacket sind übrigens auch nur Abbildungen von besagter Person enthalten. Kein Mitglied seiner Crew, welche diesmal (und ich glaube es zu 100 Prozent!) in voller Mannstärke auf Landgang mitnahm, wird visuell verewigt.
Ob das auf dem fertigen Album auch so ist, weiß ich nicht, aber für diese Rezi bleibt eben das Problem, daß man nicht einmal versucht, die Illusion einer Band aufrecht zu halten.
Und so agiert man instrumental auch, mit Ausnahme von Rolf (der hier durchweg richtig Bock hat!), größtenteils über das gesamte Album. Insbesondere für Wolpers, der bei weitem mehr auf den Kesseln hat, waren die Aufnahmen sicher leicht verdiente Dublonen. Der Oberpirat hat seine Mannschaft voll im Griff, und das soll er auch. Aber warum er seinen Jungs dermaßen eng die Fußfesseln angelegt hat, kann man nicht verstehen!
Und wenn ich schon beim Meckern bin, möchte ich auch wieder die Produktion ein wenig bekritteln:
Die ist zwar an sich gut, selten sogar richtig gut. Jedoch wirkt der basslastige Klang zusammen mit einigen sehr schwammigen Gitarren (The Shellback und Save Your Prayers als Beispiele) eher undifferenziert. Da riß bei mir die Vinylversion des Vorgängers schon vieles raus, daher freue ich mich dieses Mal umso mehr auf die Platte.
Es könnte also runder klingen, ohne daß Rolf Federn lassen müsste. Soll doch die Besatzung unter der Knute ihres Anführers die sieben Weltmeere plündern und die erbeuteten Perlen vertonen, aber einen externen Produzenten (wenigsten für die Endveredelung) mit einbezogen! Nicht das die Jolly Roger dann im alten Glanze erstrahlen würde, aber zumindest in einem neuen. So ein Kevin Shirley-Typ (der bei IRON MAIDEN auch nur das verwurstet, was ihm vor die Beine geschmissen wird) ist sicher kein Unikum.
Nun wird aber der Kotzeimer weggepackt, denn alle angeführten Negativpunkte sind nicht nur höchst subjektiv, sondern Gejammere auf hohem Niveau, weshalb ich zum Inhalt des besten Albums seit Masquerade komme.
Dieses beginnt direkt mit dem Titellied, der ein gute Laune-Banger mit allen Merkmalen der „Band“ sowie einem positiv penetranten Refrain ist. Der folgene Midtempohammer Wings of Fire besitzt neben drückendem Sound und einem treibenden Rhythmus auch sehr starke Gitarren sowie einen wahnsinnig geilen Mitgrölrefrain. Danach rockt man sich mit Save Your Prayers ebenfalls mitreißend, wenn auch gemütlicher, in Richtung Diamond And Pearls, der (wieder flotter) ein typischer RW-Banger ist. Mein Zwischenfazit:
Mehr will man als Fan nicht!
Vor allem, wenn man dann mit Wild & Free den zweiten, ebenfalls sehr starken gute Laune-Riffer hinterher schiebt, so daß ich mich ab (dem nochmals neu eingespielten) Crossing The Blades frage, warum ich eigentlich keinen Bock auf eine weitere Scheibe hatte!
Im weiteren Verlauf gibt es mit The Shellback, wenn auch wieder im altergerechten Tempo, einen weiteren klassischen RW-Song, der lyrisch Bezug auf Black Hand Inn nimmt.
Daß RUNNING WILD qualitativ von dieser Ära immer noch weit weg sind, lässt ich mit dem mauen Wild, Wild Nights untermauern. Der dritte Partyrocker auf diesem Album beinhaltet zwar knackige Riffs, besitzt aber im Refrain weniger Durschlagskraft.
Diese hat umso mehr der Longtrack The Iron Times (1618-1648), der den ersten dreißigjährigen Krieg thematisiert und sich in den Reigen grandioser Langzeitkomposition des sich mehr und mehr stabilisierenden Flaggschiffes einreiht.
Bei aller hier geäußerten Kritik muß ich Rolf eines lassen:
Auch wenn er Fehler öffentlich nicht einräumt, er korrigiert sie teilweise und kommt einem als Fan etwas entgegen. Dies machte Rapid Foray stark, BLOOD ON BLOOD macht es noch stärker. So stark sogar, daß man trotz reduziertem Tempo den Vergleich mit dem aktuellen Werk von BLAZON STONE nicht zu scheuen braucht.
Ich gehe sogar noch weiter und sage, daß sowohl Damnation als auch BLOOD ON BLOOD authentische wie großartige Alben sind. Wenn ich Rolf eines heutzutage nicht abkaufen würde, wäre es ein durchgehendes Schanti-Speed/Power Metal Werk, sondern eher ein Lied wie der mit „I`m Sailing“-Flair und von dezenten RW-Gitarren getragene Epic Rocker One Night, One Day,
der als Experiment auf einem starken Spätwerk zumindest interessant ist und nach einigen Durchläufen den Hörfluß nicht mehr stört.
BLOOD ON BLOOD ist also beileibe kein Meisterwerk, aber ein solides musikalisches Statement zwischen Blazon Stone, Black Hand Inn und Masquerade. Und was im RW-Spektrum „solide“ ist, ist im allgemeinen „großartig“. Mensch, was freue ich mich jetzt auf das nächste Album!